Großstadtgeschichten, Episode 3: Die Sehenswürdigkeiten

Über die Schönheit der Gumpendorfer Straße habe ich mich andernorts schon einmal verbreitet, aber fassen wir die Sachlage nochmals kurz zusammen: Die Gumpendorfer Straße ist eine enge Häuserschlucht mit sehr viel Autoverkehr und einem Flakturm aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem heutzutage der Meereszoo untergebracht ist.


Ist aber nicht so schlimm, denn die übernächste Straße im Norden ist die Mariahilfer Straße, und die übernächste Straße im Süden ist die Wienzeile. Gerüchteweise stehen dort ein paar wirklich schöne Jugendstilhäuser. Nur kriegen die die Touristen, die mit dem Sightseeing-Bus fahren, nicht zu sehen, denn der Sightseeing-Bus fährt bei uns durch die Gumpendorfer Straße!


Ich hab’s zeitlich (und finanziell) noch nicht geschafft, eine Proberunde mit einem der dunkelroten Doppelstock-Busse zu drehen, aber ich kann mir den Kommentar im Bus lebhaft vorstellen:


„Sehr geehrte Gäste, mesdames et messieurs, Ladies and Gentlemen, signore e signori! Bitte bewundern Sie auf der rechten Seite unseres Autobusses die Pizzeria mit der größten Pizza der Stadt! Und auf der linken Seite sehen Sie einen Billa!“


„Mon Dieu!“, rufen die Franzosen entzückt, wenn sie den Supermarkt erspäht haben. „That’s completely overwhelming!“, nicken die Amerikaner zufrieden mit dem Kopf. „Spaghetti!“, sagen die Italiener, während sie vor dem Pizza-Werbeschild für ein Selfie posieren.


Würde der Bus die parallele Wienzeile befahren, würden sich die Touristen eventuell an der goldenen Kuppel der Wiener Secession erfreuen, aber die Gumpendorfer Straße hat natürlich auch einiges zu bieten:


„Bitte beachten Sie auf der rechten Seite das Sushi-to-go-Lokal, wo immer alles minus 50 % ist! Auf der linken Seite sehen Sie ein Sushi-Lokal, wo alles immer 60 % billiger ist! Seit 2017! Gleich daneben sehen Sie einen Spar, und danach einen Billa. Und gegenüber finden Sie die beste Pizza der Stadt, jedenfalls sagen das einige. Kann man so sehen, muss man aber natürlich nicht.“


„Magnifique“, jubeln die Franzosen, „What an outstanding bus ride!“, freuen sich die Amerikaner. Die Italiener schreien „Spirelli!“ und posieren für ein schnelles Beweisfoto vor der Pizzeria.


Hätte man sich für eine Befahrung der Wienzeile entschieden, anstatt die Gumpendorfer Straße zusätzlich zu verstopfen, würden die Touristen jetzt am Naschmarkt vorbeifahren. Aber gegen unsere Straße sieht der wahrlich alt aus:


„Bitte werfen Sie einen Blick auf den Billa links, der hat viele Sonderangebote, und der Spar auf der rechten Seite hat sogar regionale Produkte. Neben dem Spar finden Sie einen Billa, dann kommt nochmals ein Spar. Spar, Billa, Billa, Billa, Billa, Spar, Billa. Scheiße, ich glaube, jetzt haben wir einen Billa übersehen. Denken Sie sich zwischen die letzten zwei Billas einfach noch einen Billa rein! Linkerhand finden Sie die rundeste Pizza der Stadt, und wenn Sie an der nächsten Ecke rechts einen raschen Blick in die Seitenstraße werfen, sehen Sie auch die Pizzeria mit der billigsten Pizza der Stadt. Aber die muss man mögen, das ist nicht jedermanns Sache.“


Die Franzosen müssen sich mittlerweile Luft zufächeln, die Amerikaner werden längst künstlich beatmet, nur die Italiener sind nach all den atemberaubenden Sehenswürdigkeiten noch nicht in Ohnmacht gefallen. Sie kreischen „Farfalle“ und machen ein Selfie nach dem anderen.


Insgesamt gibt es in der Gumpendorfer Straße mindestens zehn Sushi-Lokale, einundelfzig Pizzerias und zwölfundzwanzig Supermärkte von mindestens zwei unterschiedlichen Handelskonzernen. Außerdem gibt’s hier die Amonstiege, benannt nach einer Fleischhauer-Dynastie, die unter anderem meinen Urururgroßvater hervorgebracht hat (Es konnte allerdings nicht abschließend geklärt werden, welche in der Gumpendorfer Straße vertretene Handelskette mein Urururgroßvater beliefert hat).


Aber auch abseits der Gumpendorfer Straße gibt es bei uns viel zu entdecken, also radle ich heute ein paar Blocks weiter südlich die Billa-Straße entlang: Auf 500 Meter kommen hier vier Billas. Vor der Ampel am Gaudenzdorfer Gürtel bleibe ich stehen. Stadtauswärts fährt gerade ein gelber Doppelstockbus mit der Aufschrift „Vienna Sightseeing“ vorbei. Er fährt Richtung Matzleinsdorfer Platz. Neugierig folge ich ihm und – tatsächlich! Das überdimensionale rotierende gelbe Plastiksackl lässt keinen Zweifel: Auch hier gibt es einen Billa! Mit einer Kebab-Pizza in der Hand (Die gibt es wirklich nur am Matzleinsdorfer Platz) stehen die Italiener auf einer kleinen Verkehrsinsel, lassen sich vom sechsspurigen Autoverkehr umtosen und genießen die am besten geplante Sightseeing-Tour der Welt.

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Die Staatsoper. Kann man sich anschauen, muss man aber nicht.
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