Nachtwanderung nach Machu Picchu

Ollantaytambo ist recht nett, und bei dieser Bemerkung wollen wir es belassen.


Wir begaben uns per Bus nach Santa Maria. Eine abenteuerliche Fahrt! Es regnete, und im dichten Nebel sahen wir nur fetzenweise, wie weit es neben unserem Bus in die Tiefe ging. Wenn der Nebel für ein paar Meter aufriss, erhaschten wir Blicke auf die schneebedeckten Flanken des Nevado Verónica. Der Bus war hochflurig und schlecht gefedert, was in Verbindung mit dem rabiaten Fahrstil des Buslenkers dazu führte, dass wir uns wie auf einem auf- und abwogenden Schiff fühlten. Nach und nach wurden wir ein wenig seekrank.


Mein peruanischer Nebensitzer behauptete, dass es im Dschungel nächst der Gebirgsstraße Kannibalen gäbe. Außerdem klärte er mich über den Umstand auf, dass hier jährlich dutzende Autos abstürzten – Busse jedoch vergleichsweise selten. Seine Geschichten beunruhigten mich nicht wesentlich, aber als der Nebel vor dem Fenster so dicht wurde, dass ich den Abgrund nicht mehr sehen konnte, und der Busfahrer, weil es nun steil bergab ging, ordentlich aufs Gas drückte, wurde mir schlecht.


Als wir in Santa Maria ausstiegen, brach unversehens die Sonne durch die Wolken. In einem schmutzigen Gasthaus ließen wir uns bewirten, dann warteten wir auf ein colectivo (Sammeltaxi) nach Santa Teresa.


Muss ich im Detail ausführen, wie die Straße von Santa Maria nach Santa Teresa aussieht? Ihr ahnt es schon: Eine enge, einspurige Schotterpiste, die an einem irrsinnig steilen Abhang klebt. Von der Straße in die Schlucht sind es mindestens 100 vertikale Meter, überholen kann man nur an dafür vorgesehenen Ausweichstellen. Eine kleine Brücke, die passiert werden muss, ist genauso breit wie der Minibus und besteht aus zerfledderten Holzbrettern.


Es war bereits spät am Nachmittag, als wir in Santa Teresa ankamen, und unsere Mitreisenden begaben sich auf Herbergssuche. Zoryana und ich schnappten uns ein Taxi, das uns zum Ende der Straße in Hidroeléctrica brachte. Von Aguas Calientes (Machu Picchu Pueblo) trennten uns, als es zu dämmern begann, noch elf Kilometer.


Wenig später brach die Nacht herein. Es umgab uns eine eigenartige Atmosphäre: Der Fluss rauschte, ansonsten waren da nur der nachtschwarze Dschungel und der Schienenstrang, dem wir im Licht unserer Taschenlampen folgten. Eine Straße gibt es nicht.
Von Schwelle zu Schwelle ging es über reißende Gebirgsbäche. Einmal hielten wir kurz an, um einer schwarz-gelb geringelten Schlange Vorrang zu gewähren. Dann waren wir endlich in Aguas Calientes!


Mitten im gebirgigen Dschungel Perus hat man für die Besucher von Machu Picchu auf engstem Raum dutzende Hotels und Restaurants aus dem Boden gestampft. Ausnahmsweise störte mich die künstliche Atmosphäre samt Touristengewusel diesmal gar nicht: Wir kauften die Eintrittskarten für den nächsten Tag, fanden ein günstiges Hotelzimmer und genehmigten uns in einem topmodern eingerichteten Restaurant ein Alpaca-Steak. Das Alpaca war … köstlich! Dem Rindfleisch nicht unähnlich, aber mit einer ganz eigenen, wunderbaren Note.


Lange vor Sonnenaufgang machten wir uns am nächsten Tag in der Früh auf, die Steinstufen nach Machu Picchu zu erklimmen. Es gibt auch einen Bus, aber erstens ist das unsportlich, und zweitens sind 12 Dollar für eine 20-minütige Busfahrt Diebstahl.


Im dichten Nebel betraten wir die sagenumwobene Inkastadt und bestiegen zuerst einmal den höchsten Punkt (Wächterhaus). Als sich der Nebel zwei Stunden später lichtete, lag uns Machu Picchu zu Füßen.


Was soll man da noch beschreiben – jeder kennt die Bilder der Inkaruinen vor den zwei begrünten Felsen. Die Baukunst der Inka beeindruckt – die Steine sind oft riesig und fugenlos behauen, außerdem haben die Inka selbst Steilhänge noch zu Terrassen umgewandelt und begrünt. Was noch mehr beeindruckt, sind ein teilweise erhaltener Inka-Zugang in die Stadt (ein stellenweise extrem enger Weg, in vertikale Felswände gehauen) und die Lage! Die Inkastadt befindet sich auf einem auf drei Seiten steil abfallenden Berg und ist ringsum von höheren Bergen umgeben. Meinen Lieblingsort fand ich auf einer der untersten Terrassen: Du sitzt dem Phutuq K’usi, einem Berg, dessen Front in einer glatten, schiefen Ebene abfällt, gegenüber, und siehst plötzlich nur mehr Grün. Wenn sich der Nebel allmählich auflöst, wirkt es so, als sei der ganze Berg ein Felsen in der Brandung eines riesigen Nebelstromes.


Zoryana gelangte irgendwann zu der irrigen Ansicht, dass ich den Berg lange genug angestarrt hätte, also machten wir uns an den Abstieg. Tags darauf versuchte ich, den Phutuq K’usi zu besteigen, erkannte aber nach kurzer Zeit die Sinnlosigkeit meines Unterfangens: Die Holzleitern waren durchgemorscht und die Metallhaken in der ersten vertikalen Wand fehlten mit zwei Ausnahmen vollständig. Einzig das Drahtseil, das von einem unbekannten Ort herunterbaumelte, schien noch in Ordnung zu sein. Als ich fünf Meter über dem Boden an einer nassen, senkrechten Felswand baumelte, entschloss ich mich, umzukehren. Wir futterten mexikanisch und machten uns auf den Rückweg nach Cusco.

 

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