Vorbemerkung: Dieser Text ist einer der schärfsten, die ich bisher geschrieben habe und mir ist klar, dass er auf mehreren Ebenen missverstanden werden kann. Ich habe mir vorgenommen, auf
dieser Seite kein Blatt vor den Mund zu nehmen, deshalb riskiere ich das. Wer nach der Lektüre Lust hat, mich zu beschimpfen, ist hiermit eingeladen, mich vorher persönlich kennenzulernen (und
dann erst zu schimpfen). Meine Uni schätze ich im Übrigen sehr.
Was macht ihr eigentlich so an der Uni? Ich will euch erzählen, wie meine Studienkollegen und ich einen Großteil unserer Studienzeit verbringen:
1. Wir definieren Begriffe.
2. Wir zerpflücken Begriffe.
3. Wir räumen mit Stereotypen auf.
4. Wir versuchen, immer noch ein Stückchen feinfühliger zu werden und stellen dabei laufend fest, dass unser Sensibilitätslevel trotzdem unter aller Sau ist und unsere Rollenbilder aus dem
Mittelalter stammen.
5. Wir streben nach absoluter politischer Korrektheit und leiden unter unserer diesbezüglichen Unvollkommenheit.
Freitagvormittag, 11 Uhr. Ich fahre mit der U6 und mache eine politisch inkorrekte Beobachtung: Ich sehe zahlreiche Frauen mit Kopftuch und Kinderwagen und zahlreiche Frauen ohne Kopftuch und
ohne Kinderwagen. Ich denke mir nicht viel dabei, weil Kinder für mich momentan kein großes Thema sind, aber dann beschleicht mich plötzlich das Gefühl, dass ich etwas gesehen habe, was ich nicht
sehen hätte dürfen. Dass ich sozusagen politisch inkorrekt gesehen habe. Weil ich mein Buch ausgelesen habe, beschließe ich dennoch, weiterhin aus dem Fenster zu schauen.
Freitagnachmittag, 15 Uhr. Ich sitze seit zwei Stunden in einem Übungsraum der Germanistik. Wir sehen uns einen animierten Kurzfilm an, in dem sich ein Nashorn, ein Nilpferd und ein Krokodil
(allesamt Männer) gegenseitig beflegeln, während das Gnu als einziges weibliches Wesen zunächst schweigt, auch, als es kurz Gegenstand der Diskussion wird: Das Nilpferd beschuldigt das Nashorn,
scharf auf das Gnu zu sein. Eine Kollegin hebt die Hand und erklärt, dass sie das niemals unkommentiert lassen würde. Hier werde über eine Frau verfügt, das Gnu (welches das Nashorn als Idioten
beschimpft) habe keine Stimme, das sei völlig indiskutabel. Die Frage, um die es eigentlich ging, nämlich, ob der Kurzfilm für den Einsatz im Deutschunterricht geeignet wäre, ist damit offenbar
beantwortet.
Freitagabend, 19 Uhr. Die Dozentin erklärt uns, dass der Satz „Ich esse kein Schweinefleisch“ in einem Deutschbuch für Arabischsprachige unangebracht sei. Schließlich könne man auch alle
möglichen andere Dinge essen oder nicht essen, zum Beispiel Erdbeeren. Ich werfe ein, dass der Begriff „Schweinefleisch“ für einen durchschnittlichen Menschen aus einem arabischsprachigen Land
relevanter ist als der Begriff „Erdbeeren“. Außerdem erdreiste ich mich, anzumerken, dass ich, sollte ich jemals Arabisch lernen, durchaus an der arabischen Entsprechung des Wortes
„Wienerschnitzel“ interessiert wäre. Weil ich nämlich öfter das Bedürfnis verspüre, über Wienerschnitzel zu sprechen, als über Erdbeeren. Die Dozentin ist sichtlich unglücklich, enthält sich aber
leider einer Antwort. Eine Kollegin klinkt sich ein und schlägt vor, dem Schweinefleisch-Satz einen weiteren Satz hinzuzufügen. Erdbeeren und Schweinefleisch also.
Auch die Lektion zu den Kleidungsstücken lässt die Dozentin nicht aus. Neben Hose, Socke und T-Shirt ist nämlich auch ein Kopftuch abgebildet, und mit dem Kopftuch ein Frauenkopf. Warum es denn
immer eine Frau sein müsse, die ein Kopftuch trägt, fragt unsere Lehrmeisterin. Schließlich könne man auch einen Piraten mit Kopftuch abbilden. In diesem Moment verspürte ich plötzlich den
dringenden Wunsch, nachhause zu gehen.
Wie man sieht, bin ich ein ausgesprochen destruktives Element. Aber verzweifelt nicht, es gibt ausreichend Leute, die bereit sind, in den Kampf gegen das Schweinefleisch zu ziehen. Auf dass die
Araber im Deutschkurs das Wort „Erdbeeren“ lernen, und nicht das Wort "Schweinefleisch"! Gegen Stereotypen, für das Mutterland und für eine Diktatur der absoluten politischen Korrektheit! Was
immer ihr euch unter diesem Begriff auch vorstellt.
Als wir letztens über exotische Studienrichtungen plauderten, erwähnte ich, dass ich einmal ein Arabistik-Erweiterungscurriculum begonnen hatte. Woraufhin mich meine Cousine fragte, ob ich als
Zusatzqualifikation auch einen Studiengang zum Sprengmeister belegt hätte. Das war politisch inkorrekt. Aber leider geil.
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Kommentar von P.:
Die Schlusspointe finde ich zu viel des Unkorrekten, da hast du's dir ein bissl zammghaut, find ich. Aber sonst denke ich, dass Kommentare und Ansichten à la "Erdbeeren statt Schweinefleisch" und "Pirat mit Kopftuch statt Frau mit Kopftuch" nur zu einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft beitragen und damit klar ihren eigentlichen Zweck verfehlen.