Es ist ganz unglaublich, was man mit Wörtern machen kann. Man kann sie respektvoll behandeln und mit ihrer Hilfe die Dinge beim Namen nennen. Man kann sie aber auch umdeuten, neu definieren, vergewaltigen und, sobald keiner mehr weiß, was sie früher bedeutet haben, als Vehikel für die eigene, zweifelhafte Agenda missbrauchen.
So geschehen in den USA. Einige oberflächliche lexikalische Auswüchse der US-Amerikaner kann man innerhalb kürzester Zeit entlarven, das sind die ungefährlichen. Ein Beispiel: Wenn es nach der
Diktion der Bildungseinrichtungen geht, tummeln sich in amerikanischen Hochschulen und Kindergärten ausschließlich Führungskräfte. Jeder Pfadfinder, der einer alten Frau über die Straße hilft und
jeder, der genug Geld hat, um an einem Schulausflug teilzunehmen, ist automatisch ein „Leader“. Überall in Amerika, wo zwei oder drei Leute miteinander spielen, gibt es ein „Leadership Program“.
Geld wird in Amerika „gemacht“, nicht verdient, und eine reiche Person ist eine Million Dollar „wert“.
Ein anderer Klassiker aus den USA: „Beautiful“. Ich hab mir einmal (okay, viermal, sie war ziemlich unterhaltsam) eine Doku über die ehemals „fetteste Stadt der Welt“, Houston, angeschaut. Darin
sieht man neben vielen anderen beeindruckenden Gestalten eine Frau mit mehr als 250 kg Körpergewicht und einem BMI von 101 (schaut aus wie ein Wurschtknödel). Als der Interviewer ihre persönliche
Assistentin zu ihrer Patientin befragt, verklärt sich deren Gesicht: „She is beautiful.“ Diese Anmerkung, die sich in der Tat auf das physische Erscheinungsbild der fettleibigen Patientin
bezieht, ist konsistent mit den Beobachtungen, die ich während meines USA-Jahres selbst gemacht habe: Stark übergewichtige oder offensichtlich behinderte Menschen werden oft reflexartig als
„beautiful“ bezeichnet. Grundsätzlich ein schönes Wort, aber da es im Umgang mit 08/15-Bürgern meist eher sparsam verwendet wird, wirkt das Ganze irgendwie heuchlerisch. Man könnte auch einfach
gar nichts sagen und dem Thema damit die Relevanz nehmen. Wenn man alle Probleme wegredet (Ein Mensch, der zum Schlafen eine Sauerstoffmaske braucht und nicht alleine aufstehen kann, hat
eindeutig ein Problem), besteht zudem das Risiko, dass die Behebung dieser Probleme irgendwann gar nicht mehr gewünscht ist.
Womit wir bei den gefährlichen Wörtern wären. Foltermethoden werden von US-Politikern gerne als „enhanced interrogation techniques“ bezeichnet. Aber das nur am Rande. Eine wesentlich größere
Wirkung geht von Wörtern wie „conflict“ und – vor allem – „freedom“ aus. Wenn die USA im Irak eine völkerrechtswidrige Aggression starten und hunderttausende Menschen umbringen, ist das kein
„Konflikt“. Und von einer „Freiheit“, die „verteidigt“ werden muss, kann erst recht keine Rede sein. Genauso läuft das aber! Ich habe in den USA genug Menschen kennengelernt, denen bei der bloßen
Erwähnung der (eng miteinander verbundenen) Wörter „veteran“ und „freedom“ Tränen in die Augen treten. Anstatt vor Rührung zu weinen, sollten sie lieber ordentlich auf den Putz hauen, wenn
perspektivenlose Jugendliche als Menschenmaterial in Länder geschickt werden, die sie nicht einmal auf der Landkarte finden. Und ihre Veteranen könnten sie nach dem Sinn diverser Kriege fragen
und nach ihren konkreten Aufgaben am Einsatzort (Ich hab in den USA einmal einen jungen Heimkehrer, der allseits beklatscht wurde, gefragt, was er im Irak gemacht hatte, die sinngemäße Antwort,
ohne jede Ironie: „I mostly played on my Playstation“).
Das Wort „freedom“ bezeichnet in den USA landläufig einen bewaffneten Überfall auf ein anderes Land, mit dem Ziel, dort einen konformen Herrscher zu installieren und/oder die Ressourcen des
überfallenen Landes auszubeuten. Als ich das nach einigen Monaten Aufenthalt in Kansas begriff, lief es mir kalt über den Rücken. So einfach ist das also, Menschen für einen Krieg zu begeistern.
Man muss nicht einmal mehr zwingend eine Schauergeschichte erfinden, um die unbedarften Massen von der Notwendigkeit eines Krieges zu überzeugen. Man erwähnt einfach beiläufig, dass die Freiheit
des eigenen Landes bedroht sei. Denn der Begriff „freedom“ ist tief im Bewusstsein aller Amerikaner verankert. Dass er anno 1776 eine völlig andere Bedeutung hatte, sieht offenbar niemand.
Alle Soldaten sind immer Helden, was sollten sie auch sonst sein? Schließlich kämpfen sie für die Freiheit aller und riskieren dabei ihr Leben. Dieser grausige Freiheitsbegriff ist in den USA
absolut, wenn von „fighting for freedom“ oder „defending freedom“ die Rede ist, kennt sich jeder aus. Für die US-Amerikaner ist es „Freiheit“, nicaraguanische Häfen zu verminen und die Einwohner
mithilfe eines Wirtschaftsembargos ins Elend zu treiben. Für die Nicaraguaner bedeutet „Freiheit“ Selbstbestimmung, also frei von der Einflussnahme der USA zu sein. Um frei zu sein, brauchen die
Nicaraguaner die Freiheit von der anderen Freiheit! Eines der beiden Länder muss sich irren.
Auch am Eingang zu einem Hochsicherheitstrakt in Guantanamo findet sich ein Schild, auf dem von Freiheit die Rede ist: „Honor bound to defend freedom“. Mehr traurige Ironie geht nicht.
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