Ich mags nicht

Künstler wollen provozieren, erklärt uns die Dozentin. Ich fühle mich von der Dozentin provoziert, weil sie uns Josef Winklers „Roppongi“ als Pflichtlektüre gibt. Der Autor schreibt in seinem Buch 160 Seiten lang übers Sterben. Er reist nach Indien, setzt sich auf einen Einäscherungsplatz und beschreibt genüsslich, wie eine Leiche nach der anderen verbrannt wird. Und auch nach der Rückkehr in die kärntnerische Heimat gibt es nur ein Thema: Sterben, sterben, sterben. Wobei einzelne Todesfälle nicht etwa deshalb angeführt werden, weil sie relevant für die Handlung sind. Sie werden angeführt, weil sie traurig sind oder makaber. Oder schlicht krank.


In den zwei Vorlesungen zur österreichischen Literatur, die ich an der Uni Wien besucht habe, wurde mir allmählich klar: „Tiaf“ ist das neue „Gut“.


„Deppert“ ist eines der Wörter, die die Dozentin am häufigsten verwendet, und die ausgewählte Literatur vermittelt durchwegs die entsprechende Atmosphäre: Grau, grindig, zermürbend ist sie in den meisten Büchern, häufig auch unappetitlich und vulgär. Deppert halt.


„Literatur, die wehtut“, heißt es in den kurzen Rezensionen auf den Umschlägen, und in der Tat sollte man bei der Lektüre einiger Bücher ein Speibsackl in Griffweite haben: Während Elfriede Jelinek in „Die Liebhaberinnen“ angewidert die Zusammensetzung von Sperma diskutiert, legt Thomas Glavinic in „Der Kameramörder“ noch eins drauf und schildert minutiös, wie zwei Kinder von einem Wahnsinnigen in den Tod getrieben und dabei gefilmt werden.


Mir gefällt das nicht. Wenn Kinder in der Realität psychisch gefoltert und anschließend umgebracht werden, ist das unfassbar. Wenn Kinder in der Fantasie eines Autors gefoltert und umgebracht werden, ist das für mich verstörend. Welche Bedürfnisse befriedigt so ein abstruser, entsetzlicher Plot beim Leser und beim Autor? Warum muss ein derartiger geistiger Durchfall eigentlich zu Papier gebracht werden? Warum sollen sich die Leser aufgrund einer erfundenen Geschichte vor Grauen winden? Muss man unbedingt jedem Psychopathen einen Kugelschreiber in die Hand geben?


Offenbar will ein großer Teil der Leserschaft schockiert werden, jedenfalls legen die Verkaufszahlen von „Feuchtgebiete“ und „Vergiss mein nicht“ das nahe. Was das Finanzielle betrifft, haben die Autoren also Recht, aber tiaf ist und bleibt trotzdem tiaf. Wäre es denkbar, dass sich Leser auch durch Originalität bei der Stange halten lassen?


Bei einigen Autoren, die uns in der Vorlesung aufgetischt werden, handelt es sich um schwer verstörte Menschen. Das schreibe ich nicht aus Niedertracht, das ist so. Wer mir nicht glaubt, kann sich ja einmal die Lebensgeschichte von Elfriede Jelinek zu Gemüte führen. Ja, auch verstörte Literatur hat eine Daseinsberechtigung, und die Rollenbilder, die von Jelinek aufgedeckt werden, verdienen es, zerschmettert zu werden. Ich bin auch gerne bereit, mir ein oder zwei derartige Werke exemplarisch vor Augen zu führen. Aber wenn vorwiegend solche Lektüre gereicht wird und Anerkennung findet, dann finde ich das irgendwie seltsam. Ich mags einfach nicht. Das wollte ich einmal gesagt haben.

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Die Straße als Inspiration: Wohnen hier Kindermörder? Oder verrückte Erfinder?
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Kommentar von K.:

Mein Gott, was bin ich erleichtert. Ich dachte schon, ich bin die Einzige, die so empfindet. Ich habe so manche der von dir genannten Bücher/Texte abgebrochen, weil ich mir dachte, DAS muss ich mir nicht antun. Wenn das die hohe Kunst der Literatur ist, dann bleibe ich lieber eine Banausin und lese alles andere.