Eine Busfahrt von Necoclí nach Cartagena dauert, wenn man Glück hat, rund zehn bis zwölf Stunden, also kaufte ich mir eine kolumbianische Zeitung. Die Zeitung war voll von Artikeln über das Versagen der Müllabfuhr, die Inkompetenz der Behörden, die Unfähigkeit der Stadtplaner… Ein Artikel handelte von einem Motorradfahrer, der eine Flasche durch die Windschutzscheibe eines Autos geschleudert hatte, ein origineller Einfall, der die Beifahrerin des Lenkers das Leben gekostet hatte. Die Ignoranz brüllte aus jeder Zeile.
Die Busfahrten sind eine Geschichte für sich… Am Anfang ihrer Route haben Busse in Lateinamerika oft eine kolossale Verspätung: Der Fahrer muss noch Einkäufe erledigen, den Bus auftanken, auf
mehr Fahrgäste warten, einen Freund abholen, manchmal schläft der Jugendliche, der fürs Kassieren zuständig ist, noch. In Costa Rica habe ich es einmal erlebt, dass ein Expressbus einen
Aufenthalt einlegte, weil der Fahrer einen großen Spiegel kaufen wollte.
Alsdann muss die Verspätung um jeden Preis aufgeholt werden, was sich in einem riskanten bis wahnsinnigen Fahrstil niederschlägt. Am Cerro de la Muerte in Costa Rica verlassen sich die Fahrer in
der Nacht beispielsweise darauf, dass sie die Lichter eines entgegenkommenden Fahrzeugs schon mehrere Kurven vorher sehen. In Peru fängt der Bus bei 90 km/h – der höchsten zulässigen
Geschwindigkeit – laut zu piepsen an und piepst anschließend, weil die Geschwindigkeit nicht mehr gesenkt wird, die ganze Nacht, auch auf kurvigen Bergstraßen. In Ecuador weisen Tafeln in den
Bussen darauf hin, dass man, wenn der Bus schneller als 90 km/h fährt, die Polizei rufen soll, was aber niemanden interessiert.
Das Einladen des Gepäcks muss unbedingt so schnell wie möglich vor sich gehen, was beschädigte Rucksackgurte und zerfetzte Regenplanen zur Folge hat. Einmal wurde mein Zelt über einen Nagel
geschleift. In Südamerika wird zudem mit einer Klammermaschine ein Gepäck-Etikett an jedem Gepäckstück befestigt, mit der Zeit haben Rucksäcke auf diese Weise ziemlich viele Löcher. Zoryana
wollte ihren schönen grünen Rucksack verteidigen, sie wurde panisch, wenn sie Leute mit Klammermaschinen sah. „NO STAPLER“ rief sie bei jeder Gepäckverladung, und die Reaktion war immer dieselbe:
„Hä?“ – KLACK!
In Ecuador war mein Rucksack, als ich ihn in Alausí aus dem Frachtraum holte, benzingetränkt, andere Reisende erzählten mir, dass sie ihre Rucksäcke blutgebadet zurückbekommen hätten. Das Blut
stammte von Tieren, möglicherweise von Hühnern. In Kolumbien gilt nämlich die Devise: „Ohne meine Hendln fahr ich nirgendwo hin!“ Auch im Bus Richtung Cartagena reisten einige – lebendige –
Hühner mit.
Tagsüber dringt aus den Bus-Radios stets der gleiche Jammerton, 100 % der lateinamerikanischen Lieder beschäftigen sich inhaltlich mit unglücklichen Liebesbeziehungen. Nach einigen Stunden krieg
ich von dem Gewinsel Ohrenkrebs. Wenn ihr mir nicht glaubt, versucht einmal, bei einem lateinamerikanischen Radiosender ein Lied zu erwischen, in dem das Wort corazón (Herz) nicht
vorkommt! Ein – Schweizer – Freund in Costa Rica hat das einmal treffend zusammengefasst: „Toda Costa Rica está mal enamorada.“ („Ganz Costa Rica ist unglücklich verliebt.“)
Abends und nachts (Auf die Nachtruhe wird in Lateinamerika gesch*****) werden im Bus Filme abgespielt, in 90 % der Fälle handelt es sich um Darstellungen exzessiver Gewalt. Da werden Beine
abgesägt, Leute aufgehängt etc. Ich weiß nicht, was die mitreisenden Kinder davon halten, ich hab sie nie gefragt.
Im Kleinbus Richtung Cartagena lief die Klimaanlage auf vollen Touren, gleichzeitig waren die vorderen Fenster offen. Als ich den Fahrer darauf hinwies, zuckte er nur mit den Achseln. Wir mussten
zweimal umsteigen. Der erste Umstieg wurde uns als „Pause“ verkauft, als ich verstand, welches Spiel hier mit uns gespielt wurde, konnte ich die davoneilende Busbesatzung gerade noch aufhalten:
Wir hatten für die Gesamtstrecke bezahlt, hätten das ohne Ticket im nächsten Bus allerdings nicht beweisen können.
Beim zweiten Umstieg in einer größeren Stadt fanden wir einen freundlichen Kerl mit einem Kleinbus, der uns versprach, uns noch am selben Abend nach Cartagena zu bringen. Seine Chefin war anderer
Meinung, was wütendes Gebrüll zur Folge hatte, die beiden hassten sich offenbar bis aufs Messer. Als er die Fahrt mit uns und einem russisch-koreanischen Pärchen, das uns seit Puerto Obaldía
begleitete, schließlich doch antreten durfte, musste er seine Nerven mit tragischen Liebesliedern beruhigen, das Gejaule nahm erst ein Ende, als wir spät am Abend in Cartagena waren. Inzwischen
hatte der Fahrer die Lust am Fahren verloren und warf uns irgendwo am Stadtrand kurzerhand raus. Der Russe und die Koreanerin hatten irgendwo was gebucht, Zoryana und ich fuhren per Taxi ins
Zentrum.
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