Am nächsten Tag machten wir uns auf zu neuen Abenteuern. Am Chimborazo hatten wir wenig Luft bekommen, ein Ausgleich schien angeraten, also reisten wir über Quito weiter ins Amazonastiefland.
An dieser Stelle möchte ich euch, sofern ihr eine Südamerikareise geplant habt, darauf aufmerksam machen, dass man so einen Dschungel-Ausflug (genau wie den kompletten Rest der Reise) akribisch
vorbereiten sollte: Spätestens sechs Monate vorher ist das Touri-Hostel in einem der beiden populären Amazonas-Touristenorte zu buchen (Vorsicht, nicht alle Hostels haben Internet, die Qualität
des Frühstücks variiert), und die Dschungeltour sollte vorab mit einem renommierten Anbieter von Dschungeltouren durchgeplant werden. ¡¡NOT!!
Ich bereitete mich auf meine Weise vor, indem ich Google Maps öffnete und zwei Minuten lang den Napo absuchte, den größten ecuadorianischen Amazonas-Zufluss. Mich interessierte die Gegend
unmittelbar östlich von Coca (San Francisco de Orellana), denn ab dort wird der Fluss zu einem gewaltigen Strom. 50 oder 100 Kilometer östlich von Coca entdeckte ich neben dem Fluss einen kleinen
blauen Punkt, dort gab es einen See, neben dem See ein Dorf und neben dem Dorf den östlichsten Ausläufer einer etwas eigenartig verlaufenden Straße. Eine Kombination, gegen die nichts einzuwenden
war. Los gings.
Unser Bus erreichte das nächtlich-schwüle Coca um drei Uhr Früh. Im ersten Hotel, in dem man auf unser Klingeln reagierte, schliefen wir zweieinhalb Stunden, dann spazierte ich zum Hafen, um
Fahrkarten Richtung Dschungel zu ergattern. Es stellte sich heraus, dass nur ein einziges Boot planmäßig den Rio Napo befährt, und zwar täglich um 7:30. Leider war es bereits ausverkauft.
In der Nähe beluden zwei Männer eine Nussschale, und wir wurden sofort handelseins. Eine Stunde später stieß der mickrige Kahn ab und wir fuhren den Napo hinunter. Eine eindrückliche Fahrt… So
viel Wasser hatte ich bis jetzt nur auf Seen oder Meeren gesehen. Trotz – oder wegen – der beachtlichen Breite des Flusses musste der Bootsführer teils präzise navigieren, um kleinen Inseln,
Treibholz oder Untiefen auszuweichen. Einmal befreite er einen flugunfähigen Vogel aus einer Treibholzinsel und setzte ihn auf einer Flussinsel ab. Wir sahen einen Helikopter auf eine Rauchsäule
zufliegen… Die ecuadorianische Ölgesellschaft Petroamazonas bohrt hier, am Rande des Yasuní-Nationalparks, nach Erdöl.
In einer winzigen Hüttensiedlung namens Pompeya wurden wir abgesetzt, und als wir wenige Minuten später auf die Straße zugingen, die hier endet, kam – ich hätte es nie für möglich gehalten – ein
Bus daher, der uns die letzten drei oder vier Kilometer nach Limoncocha brachte. Dort angekommen, erkundigten wir uns nach einem Quartier und brachten in Erfahrung, dass die einzige Herberge des
Ortes voll belegt war. Am anderen Ende des Sees gäbe es allerdings im Wald ein kleines Hotel, erreichbar mit dem Boot. Genau was wir wollten!
Zwei Burschen mit einem Boot boten uns ihre Dienste an. Die Fahrt über den Limoncocha-See war ein einmaliges Erlebnis: In der Mitte ist der See über mehrere hundert Meter vollkommen zugewachsen,
das Boot navigiert durch einen riesigen grünen Teppich. Teilweise ist die Wasserstraße nicht breiter als das Boot, ihre Ränder sind an manchen Stellen mit kleinen Baumstämmen markiert, aber nicht
überall. Die Fahrt durch den Pflanzenteppich ist Zentimeterarbeit: Während einer hinten den Motor an- und abstellt, korrigiert der andere am Bug mit einem Paddel den Kurs. Schließlich landeten
wir in einem kleinen Wald, die Manöver, die zwischen Baumstämmen und mannshohen Wassergräsern ausgeführt wurden, wurden immer komplizierter. Als die Gräser schließlich zurücktraten, war das
Wasser plötzlich viel dunkler, als es im anderen Teil des Sees gewesen war.
Wir erreichten einen kleinen Steg und fanden auf einer Lichtung im Wald zwei kleine Gebäude aus Holz, die, um Schlangen den Zutritt zu erschweren, auf Stelzen gebaut waren. Der Preis, den man uns
nannte, erschien mir angesichts der Schlichtheit des Quartiers ziemlich hoch, aber unsere Verhandlungsposition war nicht die beste. Dafür trennte uns nur ein Moskitonetz vom Wald, denn unser
Zimmer hatte keine Wände.
Die zwei Burschen unternahmen eine Bootsfahrt mit uns, wir sahen Schildkröten, Affen und einen knallgelben, rotwangigen Vogel, der uns aus einem Astloch anblickte. Die beiden schlugen uns auch
einen Ausflug zu einem nicht allzu weit entfernten Indianerdorf vor, in dem die Menschen wie eh und je leben und ohne Kleidung… Aber sollen die für uns tanzen oder was?!
In der ersten Dämmerung holten uns die zwei Burschen wieder ab, wir hatten eine Nacht-Rundfahrt vereinbart. Mohrenkaimane jagen!! Der Sonnenuntergang über dem See war liebreizend, aber die
Reptilien, die sich bei Nacht im „schwarzen“ Teil des Sees tummeln, waren von weitaus größerem Interesse. Man nehme eine Taschenlampe mit ins Boot und leuchte damit den See ab… Dort, wo ein Auge
aufleuchtet, liegt ein Kaiman auf der Lauer. Mit etwas Glück taucht er nicht ab, wenn man ganz, ganz langsam und sachte zu ihm hinrudert… Die Atmosphäre war irgendwie dick in dieser Nacht, eine
angespannte Stille. Aus dem kohlpechrabenschwarzen Wasser schaute mich ein Kaimanauge an, das Tier regte sich nicht, auch dann nicht, als wir so nahe waren, dass ich es mit der Hand berühren
hätte können. Sehr atmosphärisch!
Am nächsten Tag erkundeten wir den Urwald samt Wanderpalmen und Bambushainen und wollten unsere einsame Herberge anschließend verlassen. Wir hatten festgestellt, dass unsere Barschaft, weil wir
in Coca auf die Schnelle keinen touristenfreundlichen Bankomaten gefunden hatten, nur noch für den Bus zurück reichte. Ich bat also den Besitzer unseres abgewrackten Urwald-Domizils, uns zurück
nach Limoncocha zu befördern, in der Annahme, dass dieser Transfer nichts kosten würde – immerhin hatten wir fürs Nachtquartier eine stattliche Summe geblecht und für die Fahrt zur Herberge hatte
uns niemand zur Kasse gebeten. Bei näherer Betrachtung war das aber wohl darauf zurückzuführen, dass wir die Burschen für zwei Ausflüge mit dem Boot bezahlt hatten.
Der Besitzer verlangte 25 Dollar für die Überfahrt, für lateinamerikanische Verhältnisse absoluter Wucher. Ich ersuchte ihn zähneknirschend, uns das Verlassen seiner Urwaldlichtung für 15 Dollar
zu ermöglichen, ein Preis, der es uns gerade noch ermöglicht hätte, den Bus zurück nach Coca zu bezahlen. Unser Gastgeber kam unserem Abreisewunsch insofern nach, als er auf einen schmalen
Trampelpfad hinter dem Haus wies – immer geradeaus, dann kämen wir nach einer halben Stunde zu einer Straße.
Es blieb uns keine andere Wahl, als unser Glück im Dschungel zu versuchen. Eine halbe Flasche Trinkwasser hatten wir noch. Nach wenigen hundert Metern gabelte sich der Weg zum ersten Mal, und als
ich verärgert zurücklief, meinte der Kerl, wir sollten nach rechts gehen. Und dann immer geradeaus. Keine 15 Minuten später, das Wasser hatten wir, weil es im Dschungel schwül war und unsere
Rucksäcke ziemlich schwer waren, bereits ausgetrunken, gabelte sich der Weg schon wieder. Und dann noch einmal… An jeder Kreuzung ließ ich Zoryana warten, joggte jeden Weg fünf oder zehn Minuten
geradeaus und versuchte anhand der Überwucherungsgrade den jeweils häufiger begangenen Pfad zu identifizieren. Nach einer schweißtreibenden Stunde brach ich durch eine Blätterwand und fand mich
auf einer Straße wieder.
Auf dieser Straße herrschte nicht besonders viel Verkehr, genaugenommen sahen wir eine Stunde lang kein einziges Auto. Ich konnte nicht mit letzter Sicherheit sagen, in welche Richtung Limoncocha
lag und wie viele Kilometer es bis dorthin waren… Kurz, bevor wir aufs Geratewohl losmarschiert wären, kam dann doch ein Auto vorbei, und der Fahrer war freundlich genug, uns bis zu einer
Bushaltestelle mitzunehmen. Neben der Bushaltestelle, die sich an einer Kreuzung befand, gab es einen Laden, und als wir etwas getrunken hatten, sahen wir unser kleines Abenteuer deutlich
entspannter. Der Bus, der irgendwann herangezuckelt kam, brachte uns in irgendeine verrückte Dschungelstadt, wahrscheinlich nach Shushufindi (Ich hab den Namen nicht notiert und, sofern ich ihn
jemals gewusst habe, erfolgreich verdrängt), und dort fanden wir nicht nur einen funktionierenden Bankomaten, sondern auch einen Nachtbus nach Quito.
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