In Paracas trafen wir einen Künstler, der aus Fischknochen ein Segelschiff gebaut hatte. Er fertigte aus Metall ein Lesezeichen für Zoryana und erzählte uns dann auf Deutsch, was er über Lima wusste: „Lima ist eine große Stadt und eine große Scheiße auch.“
Die Busfahrt nach Lima war eine lange, die politischen Parolen an den Mauern am Straßenrand waren zahlreich – wir kamen überein, dass „Keiko“ die neue peruanische Präsidentin werden würde. Am
Abend waren wir in Lima, stritten mit einem Taxifahrer, der nachträglich den Preis erhöhen wollte, und quartierten uns in einem kolonialen, etwas heruntergekommenen Altbau im Stadtzentrum ein.
Am selben Abend nahmen wir ein Taxi in ein riesiges Einkaufszentrum, etwas außerhalb gelegen, weil Zoryana ein bestimmtes Kabel brauchte. Das Kabel fanden wir nicht, und dann wären wir beinahe
nicht mehr nachhause gekommen. Es war der vielleicht absurdeste Moment unserer Reise, als wir vor einer riesigen Taxi-Schlange standen und uns dem ersten der etwa 50 auf Fahrgäste wartenden
Fahrer näherten. Er meinte, dass er uns nicht ins Zentrum bringen würde. Warum? „Zu gefährlich.“ Auch der nächste winkte ab („Da fahr ich nicht hin“), und Nummer drei verlangte das peruanische
Äquivalent einer Fantastilliarde. Die Ausflucht von Nummer vier war recht originell („Nein, ich will schon schlafen“), und als wir uns dem Ende der Schlange näherten, hatte die Hälfte der Fahrer
abgelehnt und die andere Hälfte einen bizarren Preis genannt. Ich war kurz davor, mich ins Irrenhaus einliefern zu lassen, als einer der letzten vorhandenen Fahrer plötzlich mit sich handeln
ließ. Zu einem hohen, aber bezahlbaren Preis ging es zurück zu unserer Herberge. Warum die Taxifahrer in Lima kein Geld verdienen wollen (Die Strecke war relativ lang und damit lukrativ),
verstehe ich bis heute nicht.
Der nächste Tag begann mit dem Auswechseln eines mannshohen Gaszylinders. Man hatte uns Warmwasser versprochen, wie überall, und das Wasser, das aus der Brause kam, war eiskalt, wie überall. In
unserem Hotel war man, wie es schien, Kummer gewohnt, und auf lästige Gäste vorbereitet: Ein Bediensteter ließ sich dazu überreden, einen neuen Gaszylinder herbeizuschleppen. Mitnichten eine
Selbstverständlichkeit!
Warmes Wasser ist eines der größten Trauerspiele in Lateinamerika: Mitunter wird das Wasser warm, wenn man es einige Minuten rinnen lässt, im Zweifelsfall zweimal, denn ein blau markierter
Wasserhahn kann ebenso gut für Warmwasser stehen wie ein rot markierter. Wenn das Wasser warm ist, hat es meist für einige Sekunden die richtige Temperatur und wird dann entweder kalt oder
unerträglich heiß. Meistens kalt.
Die erste Hälfte des Tages (Wir reden vom 16. November 2015) verbrachten wir damit, die hervorragend erhaltene koloniale Prunkarchitektur Limas zu bestaunen: Kirchen, Präsidentenpaläste,
Bahnhöfe. Einige der Bauten sind mit aufwendig geschnitzten Holzbalkonen ausgestattet. Das Holz ist der Witterung ausgesetzt und erfreut sich dennoch seit ungezählten Jahren völliger
Unversehrtheit. Grund dafür ist das Lima-Klima: Denn Lima ist, ob man es glaubt oder nicht, eine Wüstenstadt. Im Jahresschnitt fallen hier nur 13 mm Regen (Wien: 548 mm). Schuld daran ist der
kalte Humboldt-Strom, der erst weiter oben, in Ecuador, von der Küste abzweigt.
Wir aßen im L’Eau Vive, einem netten Restaurant in einem Altbau, das von einem französischen Orden betrieben wird. Das Haus ist schön, die Schwestern sind liab, und das Essen ist pipifein! Wir
trieben uns noch einige Stunden in der Stadt herum und landeten schließlich im Larco-Museum, dem spannendsten Museum, in das ich je einen Fuß gesetzt habe: Die Artefakte, mit denen 4.000 Jahre
peruanische Geschichte abgedeckt werden, sind beinahe surreal, jedenfalls ihr perfekter Zustand: Neben aufwendigem Goldschmuck findet sich vor allem viel Keramik aus der Moche-Kultur (1. bis 8.
Jh. n. Chr.). Neben ausgesprochen versauten erotischen Skulpturen lassen zahlreiche Darstellungen keinen Zweifel daran, dass die mochica mit ihren Feinden wenig Federlesens machten: Sie
warfen sie von Bergen hinunter oder ruderten sie auf Inseln, wo sie dann geopfert wurden. Um meine Ehre zu retten: Der Schmuck der alten peruanischen Herrscher ist nicht minder spektakulär
anzusehen. Wir blieben über die Sperrstunde hinaus, gefunden hätte man uns ohnehin nicht so leicht: Sogar die Lagerräume des Larco-Museums sind für die Öffentlichkeit zugänglich.
Am nächsten Morgen war das Wasser wieder kalt. Die Rezeptionistin hatte das Problem voll erfasst, als sie gleichmütig verkündete: Kaputt. Im Obergeschoß entdeckte ich aber nach einigem Probieren
eine Dusche, aus der beim dritten Versuch tatsächlich warmes Wasser kam.
Ich mag Züge, und in Lima gibt es eine U-Bahn-Linie, also fuhren wir eine Runde mit. Die U-Bahn wird als O-Bahn geführt und ist gut geeignet, um sich einen Überblick über die Stadt zu
verschaffen. Wir amüsierten uns über die Stimme aus dem Lautsprecher, die unablässig versuchte, die Fahrgäste zu erziehen („Wir setzen uns nicht auf den Boden“, „Wir hören nur mit Kopfhörern
Musik“) und stellten im Übrigen fest, dass der nette deutschsprachige Peruaner aus Paracas im Großen und Ganzen recht gehabt hatte.
Von Reisenden wird die Stadt bisweilen verklärt, und interessant ist sie ja wirklich. Gefährlich ist sie aber auch, und geschätzte 99 % der Stadt sind schlicht und einfach grottenhässlich. Zwei
Drittel der sieben Millionen Einwohner leben in Slums, und auch der Rest hat nicht nach ästhetischen Maßstäben gebaut: Unter der dichten Smogglocke Limas herrscht das ultimative Chaos.
Hunderttausende kleine, hässliche Häuser, die ohne erkennbare Ordnung auf jeden freien Zentimeter gebaut wurden, in die Ebene genauso wie auf steile Hügel. Ein wenig Abwechslung bietet neben der
Innenstadt das Reichenviertel Miraflores, das aber auch nicht weiter spannend ist: Teure Restaurants, einige Hoteltürme, Einkaufszentren und eine fette Straße, die sich unterhalb der Felsklippen
am grauen Pazifikwasser entlangwindet.
Wir besuchten das Elektrizitätsmuseum, weil es über eine Museumsstraßenbahn verfügt, die auch tatsächlich für uns in Betrieb genommen wurde. Dann aßen wir in einem hervorragenden Lokal das
teuerste Ceviche der ganzen Reise und begaben uns per Taxi (Ohne Taxi kommt man in dieser Stadt nicht weit) in eine grauenhafte Gegend, zu einem grauenhaften Busterminal, von dem aus ein durchaus
komfortabler Bus über Nacht einen der – für mich – spannendsten Orte Perus anfährt.
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