I. Neues aus Longo Mai
Das von Lena und mir organisierte Kulturfestival ist Ende Jänner gut über die Bühne gelaufen, es war eine nette Mischung aus Theater, Musik, Zirkus, Workshops und Vorträgen. Besonders imponiert hat uns Grace, eine 11-Jährige aus Longo Mai, die nicht nur wie Michael Jackson tanzt, sondern auch noch so aussieht, und die eines Nachmittags zum Zivihaus kam, um sich fürs Festival zu „qualifizieren“. Ein paar Stunden nach Beendigung des Festivals versammelte sich um halb ein Uhr nachts eine der drei Dorfbands, „Sangre del Toro“,
stockbesoffen vor unserer Haustür und brachte uns ein Ständchen.
Dienstag, der 26. Jänner. Heute bin ich um vier Uhr aufgestanden, für einen Arbeitstag im Zuckerrohr. 16 Leute hinten am Auto, 45 Minuten Fahrzeit. Wir haben den ganzen Tag lang Zuckerrohr geschnitten... Die bodennahen Blätter werden, um das Schneiden zu erleichtern, abgebrannt, sodass sich nach einem Regentag eine rußige Brühe um die Pflanze bildet, die dann auf Kleidung und Haut übergeht. Man säbelt mit der Machete möglichst nahe am Boden ein paar Halme ab, entfernt den blättrigen oberen Teil und wirft die – oft arg verbogenen – Halme möglichst geradlining auf kleine Haufen. Wenn mans nicht so geradlinig hinkriegt (wie ich), ist es schwierig bis unmöglich, einen solchen Stapel zum Traktor zu schleppen. Das wäre alles nicht so wild, würde nicht die Tropensonne ab 8 Uhr morgens vom Himmel
brennen – der Arbeitstag dauert bis 16 Uhr. Wieder einmal sind Maritzas älteste Söhne in meiner Achtung gestiegen. Fernando (14) arbeitet noch, wenn längst alle Erwachsenen im Schatten sitzen, und lässt davon eigentlich nur ab, um mir und Francisco zu sagen, dass wir die Fresse halten und weiterschneiden sollen (Im Übrigen ist er ein echt cooler Typ). Alle zwei arbeiten, weil sie Schulferien haben, sechs Tage die Woche. Nach Arbeitsschluss waren wir alle ziemlich froh, denke ich, haben die dunstigschöne Landschaft und die Ananas-Sprinkler-Anlagen am Horizont bewundert (Die sorgen in der Trockenzeit in vielen Landesteilen für Wasserknappheit) und zuckerrohrkauend auf Ainos Auto gewartet. Von den 16 Mitfahrern waren sechs Nicaraguaner. Wenig eigentlich, denn die Ticos sind sich für diese Art von Arbeit im Allgemeinen zu gut, jedenfalls im Valle Central. Im Süden Costa Ricas gibt es wenige Alternativen.
Ebenfalls Ende Jänner haben wir mit Gilberth einen Abend bei den „Toros“ in San Pedegroso verbracht, um die costaricanische Version des Stierkampfes kennenzulernen. Das Ereignis begann genau eine Stunde nach offiziellem Vorstellungsbeginn, mit „Toros a la Tica“. Jeder, der volljährig ist und schnell laufen kann, darf in die Arena, und dann werden ein bis zwei Stiere losgelassen, während das Publikum hofft, dass es doch bald einmal jemanden erwischen möge... Zwei wütende Stiere wurden samt Reiter in die Arena gelassen und wurden
diese jeweils innerhalb weniger Sekunden los.
Mit den Tieren im Dorf ist das auch so eine Sache... Die Leute in Longo Mai halten mich für verrückt, wenn das Gespräch auf die Schlangen kommt und ich erwähne, dass ich keine Schlangen töte. Ich für meinen Teil halte sie für verrückt, weil sie ihre nächtlicherweise randalierenden Hunde nicht abschaffen. Außerdem gehe ich jeden Abend mit einer quasi-kaputten Taschenlampe in Flipflops durch den Wald (schnellster Weg zum Abendessen). Das werd ich allerdings dieser Tage abstellen, denn als ich letztens gegen elf Uhr abends die Dorfstraße hinauftrottete und den glimmenden Stecknadelkopf meiner Taschenlampe auf den Boden gerichtet hielt, sah ich im schwachen Licht der Lampe eine einzige Windung einer richtig fetten Schlange. Ich konnte nicht sehen, wo das Tier anfing und wo es aufhörte und musste großräumig ausweichen. Auch auf dem Rückweg von der Perica hatte ich eine respekteinflößende Begegnung: Auf dem Trampelpfad durchs Dickicht war ich den anderen eine gute Minute voraus, bog um eine Kurve und stand urplötzlich einer Lanzenotter gegenüber. Ich erstarrte augenblicklich und machte dann einen gaaaaanz langsamen Schritt zurück. Das Tier beobachtete mich, aber die kritische Distanz war zum Glück noch nicht unterschritten. Maritzas Mutter wurde Ende Jänner von einer gelb-grauen Raupe gebissen und ist fast daran gestorben.
Was das Viehzeug in unserem Haus betrifft, habe ich folgende Faustregel: Alles, was größer ist als acht Zentimeter, wird umgebracht. Diese Regel gilt in erster Linie für Spinnen, aber dann war da dieser Skorpion, der in unserem Haus gesichtet wurde und anschließend nicht mehr auffindbar war. Zwei Tage später fand ich ihn im Vorbeigehen auf meiner Zimmertüre, in Augenhöhe, fünf Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Da hab ich alle meine tierfreundlichen Prinzipien vergessen und ihn mit einem Buch erschlagen. Ich bevorzuge Tiere, die man essen kann, Leguane zum Beispiel! Jakob hat auch noch ein Stück erwischt.
II. Die Ausreise
Am 28. Jänner kam Jakob in Costa Rica an! Wir haben das Wochenende in San José, Sarchí und am eingenebelten Vulkan Poás verbracht. Während er dann nach Granada, Nicaragua, fuhr, musste ich noch eine Woche arbeiten, und dann trafen wir uns für die gemeinsame Rund- und Ausreise (Ich muss alle drei Monate raus aus diesem Land). Katharina, Lena und Veronika waren auch mit von der Partie.
Erstes Ziel war Corcovado, ein bekannter Nationalpark auf der Halbinsel Osa. Nach einer langen Fahrt mit Bus und Schüttel-LKW stiegen wir in einem Nest namens Carate aus, gingen den Strand entlang und waren in einer anderen Welt. Mehrere rot-blau-gelbe Aras segelten über uns hinweg, aber was mich an diesem Strand so beeindruckte, war die Atmosphäre. Die Einsamkeit, die Nachmittagssonne und das Wissen, dass es hier keine Gringos gab, die mit ihren Geländewagen den Strand entlangrumpeln, das war etwas ganz Besonderes. Den Pazifik hatte ich so wild nie zuvor erlebt, das Wasser peitschte den steilen Sandstrand hinauf und war vor allem so stark. Dem Sog des sich zurückziehenden Wassers konnte ich nicht widerstehen. Die nächste Welle spuckte mich zurück. Weiter als bis zur Hüfte darf man nicht ins Wasser, denn da gibt es Haie.
Von einem Parkwächter ließen wir uns in die Tücken der costaricanischen Bürokratie einweihen. Nein, er wisse nichts von unserer Reservierung und nein, es gebe keine Möglichkeit für uns, den Park ohne Reservierung zu durchqueren. Jakob und ich machten es einfach trotzdem. Die ersten 16 Kilometer ging es die Küste entlang, eine endlose Kette von Sandstränden mit zigtausenden lustigen Krabben, die sich in Schneckenhäuser aller Größen und Formen einmieten (Recycling!). Nach ein paar Stunden vereinbarten wir, uns in der Bahía Drake (Drake-Bucht) wieder zu treffen, woraufhin die Mädels zurückgingen und Jakob und ich weiter nach La Sirena. Nach einer unangenehmen Nacht ging's ins Parkinnere.
Corcovado ist laut National Geographic die artenreichste Ecke der Welt. So viel Biodiversität ist abseits des kühleren Küstenstreifens vor allem eines: Schwül. Wir benötigten achteinhalb Stunden nach Los Patos, und ich muss gestehen, ich war am Ende unserer Wanderung
ziemlich tot. Wir querten in diesem wuseligen Corcovado (Im Parkinneren wimmelt es von kleinen Eidechsen) etwa 15 Bäche und Flüsse, und nach dem dritten Wasserlauf verzichtete ich darauf, die Schuhe auszuziehen – ich hätte sie nicht mehr anbekommen. Meine Fußsohlen schmerzten im letzten, hügeligen Abschnitt der Wanderung bei jedem Schritt, und als ich die Schuhe schließlich entfernte, waren sie käseweiß und aufgequollen wie die Fußsohlen einer Wasserleiche. Ansonsten ging aber alles glatt... Ein einziges Mal musste ich Jakob vom Baden in einem „Badefluss“ abhalten (Er kann Treibholz nicht von einem Krokodil unterscheiden).
Wir zwei und ein netter Schweizer namens Jascha, der hinter uns aus dem Dschungel gestolpert kam, leisteten uns, weil wir fix und fertig waren, ein „Taxi“ zurück zur Hauptstraße, nach La Palma. Es war die beste Taxifahrt meines Lebens, die 13 Dollar pro Person haben sich ausgezahlt. Die Straße zwischen Los Patos und La Palma ist nämlich keine Straße, sondern, im Großen und Ganzen, ein Fluss. Der Wagen weicht dem Flussbett aus, wo immer es möglich ist, aber der Rincón wird während der halbstündigen Fahrt 23-mal gequert, und zwar bei recht ansehnlicher Geschwindigkeit – eine Achterbahn ist nichts dagegen.
Glücklich in einer cabina in La Palma angekommen (Entschuldige diesen zweiten Seitenhieb, Jakob, es ist der letzte!!), biss Jakob herzhaft in einen „Willkommenskeks“ und musste sich dann ganz dringend die Zähne putzen. Einige Tage später bekamen wir in einem Hotel in Bocas übrigens wieder einen „Willkommenskeks“, dieses Mal mit der Geschmacksrichtung „Fine Toilet Soap“.
In Drake trafen wir die Mädels wieder und begaben uns tags darauf mit Manolos Motorboot nach Sierpe. Am selben Abend waren wir in David, Panama, in einem Hostel, das von einer US-amerikanischen Tusse betrieben wird und in dem alles lila ist.
Oma und Onkel haben mir zu Weihnachten eine wundervolle neue Kamera geschenkt, an dieser Stelle nochmals vielen herzlichen Dank! Nachdem Jakobs Kamera in Corcovado beim Fotografieren einer Echse mit aufblasbarem bunten Halssack verstorben war, war ich zu der Überzeugung gekommen, dass ein einziges winziges Silikagel-Päckchen zu wenig sei, um meine Kamera vor der costaricanischen Luftfeuchte zu schützen. Die Foto- und Elektro-Geschäfte in David waren allesamt nicht für mein Anliegen gerüstet, aber dann traf ich in einem Schuhgeschäft eine nette Verkäuferin, die in einem Hinterzimmer begann, alle verfügbaren Schuhschachteln für mich auszuräumen. Als ich dankend den Laden verließ, hatte ich 20 oder 30 Päckchen Silikagel in der Kamera-Dose.
In Bocas del Toro, einem Archipel in der westpanamaischen Karibik, wurde gerade Fasching gefeiert, als wir ankamen. Ein paar Teufel schlugen mit Peitschen um sich und mir war diese Insel viel zu teuer... Aber es war doch schön. An einem Regentag genossen wir das
türkisgraue Wasser am Seesternstrand bei Bocas del Drago und wir haben geschnorchelt.
Merkwürdige Trichter tun sich unter einem auf, bunte Fische mit strahlend grünen und lila Punkten schwimmen herum, später sah ich auch einen Hai. Während man über diese Unterwasser-Wunderwelt gleitet kommt man nicht umhin, einmal kurz an diejenigen Kollegen zu denken, die irgendwo in Österreich durch den Schlamm robben und ihren Dienst für das Vaterland ableisten, oder wie das genannt wird.
Zurück in Costa Rica begaben wir uns nach Cahuita, wo es einen weißen und einen schwarzen Strand und einen Nationalpark gibt. Das Karibik-Feeling entsteht vor allem durch die vielen Schwarzen, den Reggae und dadurch, dass sogar Reis und Bohnen nach Kokos schmecken. Lena, Katharina und Veronika blieben zwei weitere Tage an der Karibikküste, während Jakob und ich nach Guayabo fuhren, eine antike Stadt auf den Hängen über der Stadt Turrialba. Ein Volk, über das man wenig weiß, hat dort vor mehreren tausend Jahren u.a. ein Aquädukt gebaut und eine Straße, die nach wie vor besser in Schuss ist als manche costaricanischen Straßen heutzutage!
Mein Leintuch hatte ich in Cahuita vergessen, also wickelte ich mich nach einem von Jakob inszenierten Obst-Abendessen in zwei feuchte Handtücher. Nachdem wir das nasse und schlammige Zelt um halb fünf Uhr morgens abgebaut hatten, schrubbte ich am WC des Busterminals in Turrialba notdürftig meine Kleidung, um in diesem Land, in dem mehr Wert auf Äußerlichkeiten gelegt wird als bei uns, bestehen zu können. Am Abend waren wir in San Isidro, wo mich Jakob ins beste Restaurant der Stadt einlud (Danke!), dann fuhren wir zurück nach Longo Mai.
Was Longo Mai so liebenswert macht, ist unter anderem die Tatsache, dass man die Dorfstraße nicht raufgehen kann, ohne links und rechts von vielen netten Leuten angesprochen zu werden. Das Leben spielt sich auf der Straße ab, und selbst in den Häusern Longo Mais ist man immer irgendwie im Freien. Und alle kümmern sich um einen. Maritza rannte, als Jakob keine Zeit mehr hatte, frischen Kakao zuzubereiten, blitzschnell ins Haus, um ihn wenigstens eine arepa (costaricanische Palatschinke) kosten zu lassen. Wir kauften auf Pasiflora noch einen Berg Trockenobst, aßen Pupusas bei Ines, und dann verabschiedete sich Jakob in Richtung Ecuador. ¡Nos vemos en setiembre!
III. Schlussbemerkungen, anderes Zeug
Mit Julia, Julia, Nora und Enrico vom Zirkus war ich in San Gerardo, von wo aus wir aufgrund von costaricanischer Bürokratie nicht den Chirripó besteigen konnten. Dafür zeigte uns Klaus, ein Freund von Encrio, seinen Garten, und wir durften bei ihm übernachten. Auf dem Weg nach San Gerardo wurde mir durch eine Schweizer Touristin die Ehre zuteil, an einer esoterischen Veranstaltung, einer Pendel-Sitzung, teilzuhaben.
Außer dem Pendel standen der Vorsitzenden bei diesem Unterfangen 28 verschiedene Sorten von Zucker-Globuli zur Verfügung. Es wird also die Hand des Patienten gehalten, und das Pendel bestimmt (mittels pendeln) einige in Frage kommende Geschmacksrichtungen. Diesen werden sodann bestimmte Krankheiten oder Wehwehchen zugeordnet. Sollte der Patient nach einem kurzen (oder mittellangen) Interview tatsächlich an einem der vorgeschlagenen Wehwehchen leiden oder gelitten haben, bestimmt das Pendel, wie viele der jeweiligen Globuli man zu nehmen hat, mindestens eines, im Extremfall vier. Ich verzichtete, weil ich zu wissen glaubte, was mir das Pendel verordnen würde – fünf herrliche Schweinsbraten.
Oder eine plastikfreie Umgebung. Costa Rica ist, genau wie die USA, fest in den Händen der Plastikmafia. Was auch immer man kauft, es wird in Plastik verpackt, wobei doppelt besser hält. Wenn man das Weckerl vom Bäcker in ein kleines Sackerl steckt, das kleine Sackerl in ein großes, und anschließend einen Stapel Servietten dazupackt, ist es ein beliebtes Spiel, unter all dem Plastik und Papier das kleine Gebäckstück zu finden. Doch eine kleine costaricanische Gemeinde leistet Widerstand: Im Supermarkt „Corona“ in San Isidro fragte mich auf dem Rückweg von San Gerardo ein sympathischer Kerl, der dort Obst und Gemüse wiegt und verpackt, ob er meine Karotten und meine Kochbananen in ein einziges Plastiksackerl geben dürfe. Ich meinte ja, das sei besser für die Umwelt. Woraufhin er die Etiketten mit dem Preis auf eine meiner Kochbananen klebte, wir Obst und Gemüse ganz ohne Plastik zur Kassa trugen und er uns eine Kakaofrucht zum Verkosten anbot.
Und dann war ich endgültig zurück im kühlen Longo Mai... Jakob hat mir neben dem größten Fresspaket der Welt auch ein Thermometer mitgebracht, denn sowas bekommt man in Costa Rica nicht und ich will wissen, wie kalt es wirklich ist, wenn ich um fünf Uhr morgens bibbernd aufwache. „Brrr, das wird eine kühle Nacht“ habe ich bereits identifiziert: 23 °C.
Liebe Grüße, schreibt mir was... =)
Anton