Friseursqualen

Ich bin ein sehr friedlicher Mensch, aber wenn man mich quält, werde ich böse. Und wenn man mich regelmäßig quält, schadet das meiner Psyche.


Ich zögere den Tag X hinaus, solange es möglich ist, aber wenn ich nichts mehr sehe und infolgedessen mit dem Kopf gegen eine Straßenlaterne knalle, bin ich soweit. Ich verfluche mein Schicksal und die grausame Welt im Allgemeinen und begebe mich in einen Frisiersalon.


Schön und gut, werdet ihr jetzt sagen, aber wegen eines Friseurbesuchs muss man sich nicht so aufregen. Nun ja, liebe Freunde, ihr habt eben keine Ahnung. So einfach ist die Sache nicht.


Der Friseur wickelt mich in einen schwarzen Umhang, der meine Bewegungsfreiheit einschränken soll, und schon beginnt das Martyrium.

 

Was darfs denn sein für den Herrn? – Einmal Haare schneiden, bitte.


Was haben Sie sich vorgestellt? – Ich möchte meine Haare so, wie sie immer waren, also genau so, wie sie jetzt sind. Zwei Zentimeter kürzer vielleicht oder anderthalb. Anderthalb Zentimeter, haben Sie mich verstanden?


Anderthalb Zentimeter? Ungefähr so? – Dieser gehässige Mensch will mir eine Glatze schneiden. Haben Sie vielleicht ein Lineal?


Die Ohren frei? – Ja, schon, das heißt nein, auf keinen Fall, oder was weiß ich. Muss man eigentlich zu allem eine Meinung haben?


Und die Koteletten? – Die gibt’s Sonntagmittag bei der Oma. Achso, ja, Sie haben recht, da sind auch Haare. Die Koteletten bitte kürzer, nein, nicht abschneiden, ich meine das andere kürzer. Ein paar Millimeter, verstehen Sie, was ich meine?


Wieder einmal bin ich kurz davor, panisch zu werden. Monatelang habe ich keinen einzigen Blick auf meine Haarpracht geworfen, meine Haare waren so wie immer, dunkelbraun, vollzählig und eigentlich gar nicht da. Und das war gut so. Doch morgen Früh, wenn ich in den Spiegel schaue, werden meine Haare anders aussehen. Und schuld daran ist der verdammte Friseur!!


Früher war das alles ganz einfach. Über viele Jahre hinweg habe ich – im Jahresrhythmus – einen ungarischen Frisiersalon in der Kaiserstraße besucht. Die Belegschaft kannte nur zwei deutsche Wörter, kurz und lang, der Rest war Intuition. An der Kassa stand, dick und selbstbewusst, Madame, und wenn man ein paar Münzen drauflegte, schallte es durch den Laden: Seeeeeeerwiiiiiiiiiis! Der betroffene Friseur musste dann blitzschnell aufspringen und ein lautes Dankeschön brüllen, sonst hätte er es mit Madame zu tun bekommen.


Das war alles sehr angenehm so, doch eines Tages fragte man mich wieder: Kurz? Ich antwortete: Nicht zu kurz. Der Friseur verstand: Kurz. Und als Draufgabe bestäubte er mich mit irgendeinem Puder. Ich stürzte nachhause, wusch das Puder herunter, betrachtete meine verstümmelten Haare und war am Boden zerstört.


Was ich brauche, ist ein Friseur, der alle zwei Monate vor meiner Haustür steht. Der meine Haare wortlos und liebevoll um anderthalb Zentimeter kürzt, mir keinen Spiegel vorhält, meine Haardichte unkommentiert lässt und schwierige Wörter wie „Scheitel“ oder „Maschinenschnitt“ am besten gar nicht kennt.


Und als Trostpflaster für die erduldeten Qualen bekomme ich ein großes Stück Erdbeertorte.

 

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Der elektrische Stuhl (pixabay.com)
Der elektrische Stuhl (pixabay.com)

Kommentar von S. aus Linz:

Hairdresser: Do you like it? Me: Yes, thank you! *goes home and cries* ~unknown~