Achacachi

Auf der Suche nach bolivianischen Gastgebern hatte ich auf couchsurfing.com auch einen gewissen Pablo kontaktiert. Dieser hielt sich zurzeit, wie sich herausstellte, nicht in La Paz, sondern in einer Kleinstadt in der Nähe des Titicacasees auf. Er machte ordentlich Werbung für das Nest, also beschlossen wir, einen Abstecher nach Achacachi („Acha-cacha-cachiiii, Acha-cacha-cachiiii!“) zu machen. Die Anreise erfolgte mit einem Minibus, der an einer Straßenecke in El Alto Station machte und sogleich mit viel Ellbogeneinsatz von den wartenden Bolivianerinnen erobert wurde. Sobald sich die Damen ordentlich ausgebreitet hatten, erlaubten sie uns huldvoll, uns zu ihnen zu quetschen. Dieses Unterfangen stellte uns vor große akrobatische Herausforderungen, denn so ein bolivianisches Hinterteil braucht ungefähr so viel Platz wie mein neuer Eckschreibtisch. Die Fahrt über den Altiplano war recht unterhaltsam, immer, wenn der Bus für ein paar Augenblicke irgendwo stehenbleiben musste, wurden wir sofort von einer Traube kreischender und gestikulierender Verkäuferinnen umzingelt, die versuchten, allerhand Süßigkeiten durch die kleinen Fenster zu verkaufen. Als wir an einer Mautstelle zweimal im Abstand von gut hundert Metern stehenblieben und noch nicht alle ihre Eiswaffeln bezahlt hatten, legten die hellblau gewandeten bezopften Señoritas mit ihren Körben durchaus beeindruckende Sprints hin, um an ihr Geld zu kommen.


Achacachi war in der Tat ein Nest, und zwar kein besonders schönes. Der Titicacasee ließ sich in der Ferne eher erahnen als sehen, unser Gastgeber war ein ausgesprochen netter und außerdem sehr schräger Kerl und die Wohnung war eher als Loch zu bezeichnen. Wir plauderten also ein bisschen mit Pablo und beschlossen dann, der einzigen Sehenswürdigkeit Achacachis einen Besuch abzustatten.


Es handelte sich um einen Hügel mit einem netten Ausblick auf die Kordilleren und die Hochebene. Als wir alles ausgiebig betrachtet und fotografiert hatten, näherte sich ein freundlich lächelnder Kerl, um die fünfzig Jahre alt, mit eher gedrungenem Körperbau und einem schwarzen Schnurrbart. Er erkundigte sich nach dem Woher und Wohin und wollte wissen, was wir von der Gegend hielten. Nachdem wir selbige ausgiebig gelobt hatten, nickte er, wechselte dann abrupt den Tonfall und eröffnete mir, dass er ein Polizist sei und Grund zur Annahme hätte, dass wir es auf die Einrichtung der auf dem Hügel befindlichen, zugesperrten Kirche abgesehen hätten. Wir mögen doch bitte gefälligst unsere Ausweise vorzeigen. Ich war mittlerweile doch ein wenig gesindelerfahrener als anno 2009 in Nicaragua und forderte ihn auf, zuerst seinen Dienstausweis zu präsentieren. Das schien ihm gar nicht zu schmecken, und er rückte nahe an mich heran. Ich war von Anfang an auf einen schnellen Griff Richtung Kamera oder Hosentasche vorbereitet gewesen und ließ ihn nun nicht mehr aus den Augen. Er sah, dass ich mich konzentrierte, überlegte ein paar Augenblicke und trat dann noch einen Schritt näher. Ich bat ihn, abzuhauen. Woraufhin er plötzlich laut über sein trauriges Schicksal zu klagen begann und uns mit ausgestreckten Händen um Geld anbettelte. Zoryana, die von unserem spanischen Wortwechsel nichts mitbekommen hatte und von der plötzlichen Wesensänderung unseres Gegenübers überrascht wurde, erschrak fürchterlich. Wir standen also auf und gingen, wobei ich den selbsternannten Polizisten scharf im Auge behielt. Es hätte durchaus seinen Reiz gehabt, ihn den Hügel hinunterzuschmeißen, aber er hielt konstant zehn Meter Abstand, und im Gewirr der Gassen von Achacachi schafften wir es, ihn abzuhängen. Hinter der zweiten oder dritten Ecke betraten wir rasch ein einfaches Lokal und setzten uns in eine Ecke, die vom Eingang aus nicht eingesehen werden konnte. Eine kugelrunde Bolivianerin erschien ungefragt mit zwei Tellern Hühnerkrallensuppe. Die Suppe, in der auch etliche Nudeln schwammen, war durchaus genießbar, aber Zoryana brachte keinen Bissen hinunter. Sie wollte Achacachi sofort verlassen, ließ sich aber schließlich doch dazu überreden, mit unserem Gastgeber per dreirädrigem Minitaxi an den nächtlichen Titicacasee zu fahren. Er wollte dort Blätter für eine von ihm betriebene Sauna sammeln. Wir betrachteten einstweilen den riesigen, nachtschwarzen, stillen See.
 

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