Russland unzensiert I

Da hat mich also wieder einmal das Fernweh gepackt. Zuhause ist es zwar auch schön, aber woanders ist alles anders. Und: Zuhause lerne ich kein Russisch (Und diese Sprache studiere ich nun seit immerhin zwei Jahren). Außerdem finde ich, dass man dem Zufall ab und zu eine Chance geben sollte – der Alltagstrott ist das effizienteste Mittel, um Abenteuern, die erlebt werden wollen, aus dem Weg zu gehen.


Von meinen ebenfalls rund einjährigen Aufenthalten in den USA (2007/08) und in Costa Rica (2009/10) unterscheidet sich dieses Jahr fundamental. Erstens geht es gewissermaßen um meine Zukunft, denn wenn ich dieser verflixten Sprache nicht Herr werde, muss ich mir was anderes überlegen, zweitens kenne ich meinen Studienort und – dank der Sommerschule im letzten Jahr – zahlreiche Studienkollegen bereits und drittens bin ich zum ersten Mal für längere Zeit in einem (dem einzigen?) Land, von dem ich mit gutem Gewissen behaupten kann, dass es mich fasziniert.


Die Amerikaner sind ein lustiges Völkchen, Costa Rica ist ein schönes Land, aber Russland ist Russland. Dieses Land ist unerklärlich, riesig, absurd, wunderschön und kreuzhässlich, es zieht mich an und lässt mich nicht mehr los. Ich hoffe, dass ich es in den nächsten Monaten irgendwie schaffe, diese meine Faszination für Mütterchen Russland in Worte zu kleiden. Eine ausformulierte Deutung des Phänomens Russland kann ich nicht bieten, denn dieses Land hat, wie ich meine, noch niemand so ganz verstanden, die Russen auch nicht. Also werde ich, wie gehabt, von meinen Beobachtungen erzählen, einige Bilder mitschicken und ein paar kluge Bemerkungen anbringen, auf dass beim geschätzten Leser ein Russlandbild entstehen möge. Wenn ihr dieses Bild dann mit eigenen Beobachtungen ergänzen wollt – herzlich willkommen in Russland!


Schreiben will ich, wie es der Situation gebührt, wie’s mir gefällt und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. =) Wer mich kennt, kann davon ausgehen, dass auch zynische Bemerkungen nicht böse gemeint sind. Meiner einer freut sich auf Rückmeldungen jeder Art, und der Reiseblog Nummer drei („Weltentausch reloaded“? Nein, „Russland unzensiert“ klingt besser) beginnt an dieser Stelle.

 


Die Abfahrt


Wieder einmal ist es Ende August (März, behauptet mein Wandkalender), wieder einmal habe ich im letzten Moment mein Visum bekommen, wieder einmal stehe ich am Wiener Südbahnhof. Immerhin, der letzte Punkt wird sich nicht mehr wiederholen. Der Südbahnhof, neben der autoverstopften Mariahilfer Straße ein Schandfleck der Stadt, wird in ein paar Monaten abgerissen. Die Fahrkarte hatte ich bereits ein paar Wochen vor Abreise gekauft, mit dem Lukas, in Bratislava, per Schlauchboot (Merke: Niemals in starker Strömung den Anker auswerfen, wenn du in einem kleinen Plastikboot sitzt).


Ein Novum ist jedenfalls die Masse an Gepäck, die ich mitschleppe, es sind ungefähr 70 Kilo. Der Kurswagen bringt mich umsteigefrei von Bratislava nach Moskau, wo mich nur ein paar Stiegen, Rolltreppen und eine U-Bahn von meinem Zug nach Nischni trennen, und in Nischni wartet ein Taxi. Der Vorteil, den ich gegenüber meinen per Flugzeug anreisenden österreichischen Kolleginnen (vier Mädels aus Innsbruck und die Sonja) habe, kann also ausgespielt werden. In meinem Gepäck finden sich mehr als 20 Bücher, drei dicke Russisch-Mappen und sogar mein Drucker.


Die 42 Stunden im Schlafwaggon nach Moskau kosten, sofern man das Ticket in der Slowakei erwirbt, bescheidene 114 Euro. Bei besserer Nutzung der vorhandenen miserablen Infrastruktur könnte die Strecke Wien-Kosice-Kiew-Moskau ohne weiteres in 27 Stunden zurückgelegt werden (über Weißrussland in 22 Stunden), aber der Weg ist das Ziel, und der Weg ist im Grunde eh leiwand. Gesellschaft leisteten mir Jan, ein Student aus dem ostslowakischen Kosice, der in Moskau an der diplomatischen Akademie studiert, und Oleksandr, ein ukrainischer Med-Uniprofessor, der in Bratislava Bekannte besucht hatte. Letzterer war 1986, nachdem sich nahe seiner Heimatstadt Kiew die Katastrophe von Tschernobyl ereignet hatte, für einige Monate in mein gutes, altes Nischni Nowgorod gegangen.


In Moskau hatte ich ein paar Stunden Zeit und traf im Park Pobédy (Siegespark) meine Moskauer Freundin Julia. Die ist lustig, lernt in ihrem Deutschkurs die unmöglichsten deutschen Wörter („Niedrigspannungsleitung“), sie lud mich zu Verwandten ein und half mir dann, meine drei monströsen Gepäckstücke zur Stoßzeit durch die Moskauer Metro zu … stoßen. Am Kúrskij Waksál (Kursker Bahnhof) trafen wir, wie ausgemacht, die Sonja.


Sonja ist eine Studienkollegin von der Slawistik. An einem denkwürdigen Nachmittag im März dieses Jahres saßen wir am Uni-Campus im Gras, als sie mich fragte, was denn meine weiteren Studienpläne wären. Ich meinte, dass ich im Herbst für ein Jahr nach Nischni fahren würde, und dann dauerte es ungefähr eine Sekunde, bis die Antwort kam: „Ich komm mit.“ Diesem äußerst spontanen Entschluss ist sie treu geblieben, und jetzt wohnt sie wie ich im Studentenheim Nummer 2 der Linguistischen Universität von Nischni Nowgorod, genau zwei Stockwerke unter mir.


Die letzten 440 Kilometer nach Nischni legten wir mit einem Sapsán (russisch für „Wanderfalke“) zurück. Dieser modifizierte ICE, der seit Ende 2009 zwischen St. Petersburg und Moskau, und mittlerweile auch Moskau und Nischni im Einsatz ist, ist in Russland so etwas wie eine Revolution auf Schienen, daran ließ eine Mitreisende aus Dserschinsk keinen Zweifel aufkommen: Sie lobte die Funktionalität des Zuges, die stark verkürzte Fahrzeit, und fügte schmollend hinzu, dass sie gewöhnliche Züge bevorzuge. Die bestehen nämlich meistens ausschließlich aus Schlafwagen, und zum Reisen gehört es nun einmal, sich hinzulegen – auch, wenn die Reise tagsüber angetreten wird und nur vier Stunden dauert. Sie erzählte mir von ihrer Heimatstadt, auf die ich, sobald ich sie mir angeschaut habe, noch zu sprechen kommen werde, hüllte sich dann in Schweigen und regte sich erst wieder, als es kurz vor Dserschinsk etwas zu sehen gab: Im Übergang zwischen den Waggons war ein Betrunkener zusammengebrochen.

 

Im ebenfalls an der Transsibirischen Eisenbahn gelegenen Kowrow blieben wir übrigens nicht stehen, denn erstens hat die Welt von diesem Kaff noch nie gehört, und zweitens hat es nur 145.000 Einwohner.

 


Die Ankunft


Am 30. August um 23:25 waren wir in Nischni. Am Bahnhof erwarteten uns Elena (sprich: Jiléna), unsere Ansprechperson von der Uni, und ein Taxi. Der Taxifahrer war ein typischer Vertreter seiner Bevölkerungsgruppe. Die meisten Russen sind extrem freundlich, aber es gibt einen ganz bestimmten Typus in Russland (besonders oft anzutreffen in kleinen Lebensmittelgeschäften), der stammt aus dem Kommunismus und hat an aktuellen Weltbildern nicht das geringste Interesse. Ökonomische Notwendigkeiten zählen wenig, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft überhaupt nicht. „Arbeiten“ ist ein Unwort, wer ein Anliegen hat, wird mürrisch oder böse angeschaut, widerwillig bedient oder eben gar nicht. Der Taxifahrer warf einen Blick auf mein Gepäck, einen weiteren auf seine kleine Rostlaube, zischte ein paar unfreundliche Wörter und war auf und davon.


(Ein paar Tage später machte ich übrigens, nicht zum ersten Mal, Bekanntschaft mit dem Typus, der dem Aber-fix-nicht-Typus am nächsten verwandt ist. Es war die Dienst habende deschúrnaja vom sechsten Stock, vor deren Augen ich meine Wäsche aus der Waschmaschine holte. Ich schaute mich suchend um, die Wäschestricke im Waschraum waren alle vollständig behängt. Sie schaute sich ebenfalls um und verkündete gleichmütig: Kein Platz. Das wiederholte sie dreimal, aber weil sie von der Sorte war, die zwar widerwillig und langsam reagiert, im Grunde aber doch gutmütig ist, fand sie schließlich eine Lösung: Wir schoben die Wäschestücke der anderen etwas zusammen.)


Pünktlich um Mitternacht waren wir aber dann doch im obscheschítie (Studentenheim) Nummer 2 und ich bezog mein Quartier im 7. Stock. Dass ich überhaupt im Zimmer mit der Nummer 717 wohnen darf, ist beinahe eine kleine Sensation, denn Mitteleuropäer werden für gewöhnlich ausnahmslos im 5. oder 6. Stockwerk untergebracht. Die Zimmer im 5. Stock haben westlichen Standard (Etwas kleiner sind sie, 15 m² für drei Bewohner), kosten 4.000 Rubel im Monat, und der geschätzte Österreicher, Koreaner oder Chinese kann sich, wenn er sich dazu berufen fühlt, in ein kleines, adrettes Ausländerghetto zurückziehen. Was den sprachlichen und interkulturellen Austausch betrifft, ist dieses Abschotten natürlich eher suboptimal, fast fühlt man sich ein wenig an kommunistische Zeiten erinnert (Stichwort: „Isolation“).


Ich hatte also prophylaktisch Protest eingelegt, war erhört worden und stand nun in meiner neuen Studentenbude (1.000 Rubel im Monat). Ich sah mich um, schluckte einmal und beschloss, eine Nacht darüber zu schlafen. Vorher stellte ich mich noch kurz unter die Dusche und drehte den Wasserhahn auf. Was aus der Leitung kam, war nicht die übliche Chlorwolke, die man in Moskauer Badezimmern gewöhnt ist. Es war ein fieser, richtig gemeiner Geruch, und ich verkürzte die Duschzeit auf ein Minimum. Das fiel mir nicht allzu schwer, denn, vom Geruch abgesehen, war das Wasser auch außerordentlich kühl.


Am nächsten Tag ging ich mit Sonja Putzmittel kaufen und machte mich seufzend daran, mein Zimmer zu putzen. An unserem ersten ganzen Tag in Nischni kauften wir außerdem Topfpflanzen, bunte Bettwäsche und Bettvorleger, und dann war mir klar – sobald über meinem Bett eine riesige Russlandkarte und ein paar Fotos hängen und die vorhandenen schäbigen Möbel von T-Shirts, Teebeuteln und Büchern überquellen würden, stünde einer Verwandlung dieser lädierten Absteige in einen Ort des Wohlfühlens nichts mehr im Wege.
1.000 Rubel Miete sind für ein Zimmer in einem russischen Studentenheim nicht wenig. Üblich sind 500 Rubel im Monat (€ 12,50), aber, wie uns Dascha versicherte, dafür könne man nicht denselben Standard erwarten, der in unserem Heim geboten würde. Auf Sonjas entgeisterte Frage, was denn noch schlimmer sein könnte als diese Bude, meinte Dascha nur: Küchenschaben.



Die Mitbewohner


Ich wohne also in einem Studentenheim in Nischni Nowgorod (bis 1990: Gorki), der fünftgrößten Stadt Russlands. Von der Straße trennen mich 119 Stufen, von der oberen Uferstraße etwa zwei Fußminuten, vom Zentrum zwanzig. Nach Moskau sind es etwa 400 Kilometer Luftlinie (Nach russischer Definition liegt Nischni „bei“ bzw. „neben“ Moskau), nach Wien 2.000, und nach Wladiwostok 6.000. Vom nordöstlichen Ende der russischen Föderation an der Beringstraße trennen mich ebenfalls rund 6.000 Kilometer.


Dascha ist übrigens gebürtige Mordwinin. Der Vielvölkerstaat Russland beheimatet 89 Stammvölker. Unter den 83 Föderationssubjekten (Oblasten, autonomen Kreisen usw.) befinden sich 21 Republiken, die einigen dieser Stammvölker gewissermaßen „gewidmet“ sind. Diese Republiken sind nach einer Titularnation benannt (Tatarstan, Baschkirien, Tschuwaschien, Tschetschenien…) und genießen bzw. genossen einen vergleichsweise hohen Grad an Autonomie (Die Gouverneure wurden ursprünglich von der Bevölkerung gewählt, seit 2000 werden sie aber von Putin persönlich eingesetzt). Die jeweilige Minderheitensprache wird oft nur in der Volksschule unterrichtet und im Alltag nicht verwendet. Immerhin, Dascha kennt noch ein paar mordwinische Schlaflieder.


Ein paar Tage nach meiner Ankunft trudelte mein erster Zimmerkollege ein, Artjóm (der zweite heißt Denís). Artjóm spricht extrem schnell und so schludrig, dass ihn manchmal nicht einmal die Russen verstehen. In der Bar „Fidel“ spielte laute Musik, wir saßen also da, versuchten vergeblich, uns irgendetwas mitzuteilen und grinsten uns an. Mittlerweile verstehen wir uns aber recht gut, und Artjóm ist, wie die allermeisten anderen Russen auch, ein maladjéz (Prachtkerl), mit dem man jederzeit Pferde stehlen kann.


Eine weitere neue Bekanntschaft ist Lera (Walérija) aus Ischewsk (Republik Udmurtien). Sie ist die beste Stockwerkskollegin, die man sich wünschen kann, und mittlerweile eng mit Sonja und mir befreundet. Außerdem ist sie Leichtathletin, und wir gehen zusammen laufen. Von der oberen Uferstraße, die zum Kreml führt, hat man eine großartige Aussicht auf die Wolga und das russische Hinterland. Über die Kremlstiege geht es zur unteren Uferstraße, zwei Kilometer weiter östlich dann durch etwas Schlamm zum Höhlenkloster (wo wir im vergangenen Jahr einen jungen Mönch getroffen haben, der seine Vergangenheit als Drogenjunky abgelegt hatte und nun, wie er meinte, sehr gechillt sei), und vom Höhlenkloster ist es nicht weit zurück ins Studentenheim.


Außerdem versucht Lera, mir Manieren beizubringen. Ich habe Frauen immer das Recht zugestanden, Türen selbst aufzumachen, aber das kommt in Russland gar nicht gut an, und so bin ich nun eifrigst bemüht, Türen und andere potenzielle Hindernisse aus dem Weg meiner russischen Begleitung zu räumen (Sonja darf das nach wie vor selber tun).


Vorerst nur noch eine weitere Lera-Geschichte, eine Kindheitsgeschichte, die sie mir erzählt hat und die ich weitererzählen möchte, weil sie lustig ist und in dieser Form nur in Russland passieren kann: Eines Tages hatte sich die kleine Lera gerade die Sandalen zusammengebunden (Warum auch nicht?), als ihre Mutter aus der Küche rief: „Der Kefir ist fertig!!“ Die kleine Lera rannte los in Richtung Tür, und die Narbe am Knie hat sie heute noch.


Über Lera haben Sonja und ich Ira (Irina) kennengelernt, und über Ira das Spiel Lasertag. Es handelt sich um eine harmlose Variante von Paintball, und so liegen wir nun einmal die Woche abends im Hinterhalt und versuchen, die gegnerische Mannschaft mit unseren Lasergewehren aus dem Weg zu räumen.


Im Café „Ziferblát“ traf ich einige Tage nach meiner Ankunft auf einem Jazzkonzert Pascha, eine weitere interessante Persönlichkeit unserer letztjährigen Sommerschule. Pascha, mit dem ich in den nächsten Jahren irgendwann Kamtschatka erkunden möchte, studiert Politikwissenschaften, ist vor acht Jahren zum Islam konvertiert und muss im nächsten Monat einrücken – mit etwas Glück darf er in der Oblast Nischni Nowgorod bleiben, andernfalls kommt er nach Wladiwostok (sprich: Wladiwastók) oder Dagestan. Das „Ziferblát“ ist übrigens ein origineller Ort, man bezahlt dort pro Minute Anwesenheit (etwa 1-2 Rubel pro Minute), wobei Tee, Kaffee, Kakao und Knabbergebäck inbegriffen sind, den Rest darf man von zuhause mitnehmen. Um nicht auf die Zeit zu vergessen, sucht man sich in einem Regal einen symbolischen Wecker aus und nimmt diesen mit an den Tisch.



Der Klub


Auch einen russischen Klub haben wir in unserer allerersten Russlandzeit bereits heimgesucht. Dazu war es zunächst notwendig, unsere Nachtwächter zu korrumpieren. Das Studentenheim ist nämlich von Mitternacht bis sechs Uhr morgens verschlossen, auch die Küchen- und Stockwerkstüren werden pünktlich um null Uhr abgesperrt. Offizieller Grund für die Zugangskontrolle und das nächtliche Absperren des Studentenheims ist die Terrorismusbekämpfung, die Stockwerkstüren werden, wie Denís hämisch bemerkte, abgesperrt, „damit die Terroristen vom siebten Stock nicht in den sechsten kommen“.


Eine deschúrnaja (Stockwerksbeauftragte) habe ich interviewt, warum sie denn unbedingt immer um Mitternacht unsere verdammte Küche zusperren muss: „Weil ihr schlafen müsst.“ Diese Eliteeinheiten werden vorwiegend aus alten Frauen rekrutiert, sind entweder sehr lieb oder ausgesprochen bösartig, und außerdem relativ ineffizient. Jede dumme Ausrede ist gut genug, um auch ohne Ausweis ins Studentenheim zu kommen.


Nicht jedoch zwischen Mitternacht und sechs Uhr, denn da ist zugesperrt. Wir hatten aber Glück mit unserer wachtjórscha (Eingangsbeauftragten), sie war eine Seele von einem Menschen, und sie ließ sich von uns umsäuseln. Isi, die in ihrem Studienjahr in Nischni Nowgorod gelernt hatte, zu schauspielern, schien den Tränen nahe, und da schmolz das Herz unserer Nachtwächterin dahin. Wir verabredeten, um drei Uhr nachts an ihr Fenster zu klopfen (Sie muss sowieso wach bleiben).


In Russland ist alles extrem. Extrem groß, extrem weit weg, extrem gut, extrem schlecht, extrem korrupt oder extrem faszinierend, in jedem Fall extrem authentisch russisch. Soll heißen: Haltet euch fest, denn jetzt erlaube ich mir, ein paar Worte zu den russischen Klubs anzumerken, und zu den russischen Frauen.


Das Männerkeilen ist ein russisches Phänomen, ein Relikt aus Kriegszeiten, wo der Frauenüberschuss gewaltig war. Bis heute wird jedem russischen Mädchen eingetrichtert, dass es unter 140 Millionen Russen nur rund 65 Millionen Männer gibt (Das kommt ungefähr hin, liegt aber ausschließlich daran, dass die Lebenserwartung der Männer in Russland weit unter der Lebenserwartung der Frauen liegt, im heiratsfähigen Alter gibt es sogar geringfügig mehr Männer als Frauen), und dass sie gut daran tut, sich für die Männer „herzurichten“, auf dass sie rasch unter die Haube kommt. In den Großstädten gibt es tatsächlich eigene Schulen, in denen Frauen Unterwürfigkeit und Anbiedern lernen können.


Entsprechend erkennt man eine junge Russin an ihrer leichten Bekleidung (Teilweise laufen sie auch bei Temperaturen im zweistelligen Minusbereich im Minirock und ohne Strumpfhose herum), ihren hohen Absätzen und, auch das wollen wir nicht vergessen, an ihrer oft sprichwörtlichen Schönheit. Im Klub sind die Absätze noch einmal eine Spur höher als auf der Uni.


Eine Mittelschicht ist in Russland quasi inexistent, dafür lässt es die Oberschicht aber ordentlich krachen. Die Klubs sind für die Schönen und die Reichen, am Eingang gibt es die berühmte Gesichtskontrolle. In Nischni fällt die etwas weniger streng aus als in Moskau oder Petersburg, sonst könnte ich euch auch nicht erzählen, wie’s da drinnen aussieht…


Ganz kurz: Im „Mikstura“ tummelten sich an diesem Abend neben einigen Russen vor allem viele Russinnen, tendenziell mit wenig Kleidung, die dafür viel Geld gekostet hat, und oft mit wahrhaft bizarrem Äußeren. Leoparden-Leggins sind da nur der Anfang. Die Cocktails kosteten zwischen 7 und 13 Euro. Im Klub waren neben einigen Tandembekanntschaften zwei Freunde von Isi, ein stumpfgesichtiger Russe mit einer absolut goldigen Russin im Arm. Quasi-nackte Stangentänzerinnen (Und nein, das war definitiv kein Strip-Klub) in seltsamen Tanga-Outfits mit Pailetten (?) über den Augen wechselten sich ständig ab, die Musik wurde immer lauter, und ich war einfach froh, diesen Ort wieder verlassen zu können… Um stattdessen Tee zu trinken. Die Teeabende mit meinen russischen Freunden sind wunderbar.


Die neuesten Geschichten von der Uni, aus Nischni und Udmurtien (Lera hat uns für nächste Woche zu sich nachhause eingeladen) dann demnächst, ich glaube, das reicht fürs Erste. :)